«DAS ZOFINGER GEWERBE BRAUCHT EINE STARKE STIMME»

André Kirchhofer: Das ist ein sehr schönes Gefühl. Es hat mich extrem gefreut, dass ich überhaupt als Einwohnerratspräsident gewählt wurde und erst noch mit einem sehr guten Resultat. Ich gehöre zu den Einwohnerräten, die in den letzten Jahren ganz bewusst exponierte und pointierte Haltungen eingenommen haben. Es ist nicht selbstverständlich, dass man trotzdem gewählt wird, und umso mehr schätze ich das. Es zeugt gleichzeitig von der hohen politischen Kultur, die in diesem Einwohnerrat herrscht, dass es möglich ist, auch als exponierte Persönlichkeit in ein Amt gewählt zu werden, das verbindend wirken soll.
Was möchten Sie als Einwohnerratspräsident anders machen als Ihre Vorgänger?
Nichts! Ich bin der Meinung, dass meine Vorgängerinnen und Vorgänger in diesem Amt gute Arbeit geleistet haben. Das Wichtigste ist, dass man sich mit diesem Amt identifizieren kann. Es ist für alle eine Ehre, höchste Zofingerin oder höchster Zofinger zu sein. Ich möchte das Amt so gut ausüben, wie ich kann, und hoffe, dass ich den Ansprüchen der Ratsmitglieder gerecht werde.
Was zeichnet einen guten Einwohnerratspräsidenten aus?
Für mich ist es wichtig, dass man die Sitzungen effizient und formell richtig führen kann. Das Schlimmste wäre, wenn sich zum Beispiel ein Abstimmungsfehler ereignen würde. Es braucht die nötige Vorbereitung und die Kenntnis der Reglemente.
Haben Sie einen speziellen Wunsch an die Einwohnerräte von Zofingen?
Ich habe bereits in meiner Antrittsrede den Wunsch geäussert, dass ich gerne einen aktiveren Rat hätte und dass ich jedes Ratsmitglied in den kommenden zwei Jahren gerne mindestens einmal am Mikrofon sehe und höre, wie es sich zu einem Geschäft äussert. Ich wünsche mir, dass die Debatten an Schwung gewinnen und man sich wieder mehr traut, seine Meinung zu äussern und diese auch öffentlich zu vertreten.
Sie haben bereits zwei Sitzungen geleitet. Vermissen Sie das Politisieren nicht?
Doch, ich vermisse es. Es war aber auch ein Versprechen meinerseits, dass ich mich als Ratspräsident nicht zu inhaltlichen Fragen exponieren werde, weder im Rat selber noch in den Medien. Es ist nicht meine Aufgabe, jetzt Parteipolitik zu machen, auch wenn ich FDP-Parteipräsident bleibe, sondern Zofingen als Stadt und attraktiven Standort zu vertreten, den Rat zu leiten. Dieser Rollenwechsel war mir aber schon von vornherein bewusst und klar.
Empfinden Sie die Zofinger Einwohnerräte mehr als Einzelkämpfer oder als Teamplayer?
Das ist momentan noch schwierig zu sagen. Die Zusammensetzung des Rats hat sich auf die neue Legislatur hin verändert, deshalb wird sich das erst noch zeigen. In der Vergangenheit erlebte ich aber beide Seiten. Was ich sehr schätze, ist, dass viele Ratsmitglieder, selbst wenn sie eine harte Linie vertreten, auch über die Parteigrenzen hinaus sehr gut miteinander zusammenarbeiten können.
Haben Sie einen persönlichen «Lieblingsmitstreiter» im Rat?
Ja, Michael Wacker von der SP. Wir sind selten politisch auf einer Linie, aber mit ihm kann ich wirklich ausgesprochen polemisch politisieren, mich mit ihm messen und einander am Rednerpult «richtig Tee geben». Im Anschluss kann man sich wieder in die Augen schauen, einander die Hand geben, und es ist auf der persönlichen Ebene, wie wenn nichts gewesen wäre. Das macht Spass und ist genau die Kultur, die ich mir weiterhin wünsche.
Was vermissen Sie persönlich in der Zofinger Politszene?
Farbigere Debatten, mehr Leute, die Mut haben, ans Mikrofon zu gehen und ihre Meinung sagen, auch wenn dies nicht allen passt, und ein breiteres Mitdenken aller Beteiligten. Die Finanz- und Geschäftsprüfungskommission (FGPK) – inklusive mir – muss noch stärker werden und sich zu einem echten Sparringpartner des Stadtrates entwickeln. Das zu erreichen bedingt aber einen zusätzlichen Aufwand …
Welchen zeitlichen Aufwand betreiben Sie für Ihr politisches Hobby?
Schön gesagt, es ist tatsächlich mein Hobby. Der Zeitaufwand verteilt sich wellenförmig. Vor den jeweiligen Einwohnerratssitzungen nimmt der Aufwand jeweils zu. Man trifft sich in der FGPK, in der Fraktion, mit dem Ratsbüro und an der Einwohnerratssitzung wieder. Davor kommt die persönliche Einarbeitung in die Geschäfte, dann bin ich noch Präsident der FDP Zofingen, bin noch in der Neujahrsblattkommission, ich war über mehrere Jahre Bezirkspräsident der FDP Zofingen … Im Schnitt bin ich ein bis zwei Abende pro Woche für die Politik unterwegs.
Was ist das wichtigste Dossier des ER in der neuen Legislatur?
Aus meiner Sicht sind es die Finanzen. Aber weniger das laufende Budget, sondern viel mehr die langfristige Ausrichtung im Zusammenhang mit den Investitionen, die in Zofingen anstehen. Wenn wir da die richtigen Schritte einleiten, bin ich überzeugt, dass wir den Standortvorteil von Zofingen weiter ausbauen können – was auch den anderen Dossiers zugutekommt.
Welches Dossier wird am meisten unterschätzt?
Kultur, das ist nie ein Thema im Einwohnerrat. Dass die Stadt Zofingen ein so breites Kultur-, Sport- und Freizeitangebot hat, verdankt sie nicht der Politik, sondern den vielen Freiwilligen, die sich mit viel Herzblut dafür einsetzen. Dieser Einsatz ist nicht selbstverständlich und dürfte durchaus mehr gewürdigt werden. Diese Angebote im Sport- und Kulturbereich sind nämlich ebenso wichtig wie der Steuerfuss unserer Stadt.
Piazza versucht, die Altstadt zu beleben. Viele Einwohner behaupten aber, die Altstadt seit mit Veranstaltungen überladen. Wie sehen Sie das als ehemaliger Altstadtbewohner?
Ich habe zehn Jahre in der Altstadt gewohnt und sehe beide Seiten. Was ich nicht mehr hören kann, ist das Argument – häufig von Nicht-Zofingern –, dass in Zofingen «nichts läuft». In Zofingen ist enorm viel los, und wenn man in der Altstadt wohnt, erlebt man es hautnah. Wer einen Blick in den Veranstaltungskalender der Stadt wirft, stellt fest, dass es kaum noch eventfreie Wochenenden in der Stadt gibt. Das ist mit ein Grund, weshalb ich aus der Altstadt weggezogen bin. Ich habe aber auch Verständnis für das Gewerbe und die Gastronomie, die mit verschiedensten Veranstaltungen Kundschaft in die Stadt locken möchten.
Wie kann man dieses Problem lösen?
All die Anliegen von Gewerbe, Liegenschaftsbesitzern, Anwohnern und der Politik unter einen Hut zu bringen ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Dazu kommt, dass jeder meint, er sei in dieser Frage ein Experte. Und dort, wo es zehn Experten hat, gibt es ja bekanntlich auch elf verschiedene Meinungen …
Ist Piazza ein Fluch oder ein Segen?
Eine wertvolle Ergänzung! Aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass das Zofinger Gewerbe eine starke Stimme, vielleicht auch mehrere starke Stimmen hat, damit es wahrgenommen wird. So gesehen hat Piazza eine wichtige Funktion und hat in den letzten Jahren auch einiges bewegt, das die Altstadt aufwertet. Der Skulpturen-Parcours beispielsweise gefällt mir persönlich sehr gut. Grundsätzlich muss es das Ziel sein, die verschiedenen Interessen aller unter einen Hut zu bringen, obwohl das sehr schwierig ist.
Was würden Sie in Zofingen sofort ändern, wenn Sie könnten?
Ich würde die Baustelle an der Unteren Brühlstrasse/Mühlemattstrasse wegzaubern. Sie strapaziert die Nerven der Anwohner, der ansässigen Firmen und der Verkehrsteilnehmer bereits seit über zwei Jahren, und es wird weitere Wochen dauern. Ich bin der Meinung, dass bei der Vergabe von künftigen Strassenprojekten auch die Qualität von früher ausgeführten Arbeiten berücksichtigt werden muss.
Warum gibt es zurzeit so viele Strassenbauprojekte in Zofingen?
In Zofingen wurden verschiedene Investitionsvorhaben in den vergangenen Jahrzehnten etwas auf die lange Bank geschoben. Das hat dazu geführt, dass sich mehrere Projekte innerhalb kurzer Zeit kumuliert haben und es deshalb zu vielen Baustellen kam. Man hat das Gefühl, die Bauerei nimmt kein Ende. Umso wichtiger ist der zeitliche Raster bei der aktuellen Investitionsplanung. Die Projekte müssen nicht nur zahlbar sein, sondern auch so terminiert werden, dass die Bevölkerung nicht über Jahre teilweise unnötig eingeschränkt wird.
Seit Jahren wird gespart. Wo kann der Gürtel noch enger geschnallt werden?
Zofingen hat in den vergangenen Jahren eine enorm gute Finanzpolitik betrieben. Da dürfen der Stadt- und der Einwohnerrat, die beide hart daran gearbeitet haben, stolz sein darauf. Man hat erreicht, dass die Selbstfinanzierung auf einem hervorragenden Niveau ist. Das wurde möglich, weil in einem gemeinsamen Prozess viel optimiert wurde. Wenn jetzt aber weitere Massnahmen eingeleitet würden, dann würde das zu einem Leistungsabbau bei der Dienstleistungsqualität führen. Jetzt geht es langsam «as Läbige». Daher sollten wir aus meiner Sicht, wie gesagt, nicht primär bei der laufenden Rechnung ansetzen, sondern vor allem bei den teuren Investitionen. Hier entscheidet sich, ob man die Millionen ausgibt oder nicht.
Wo dürfte die Stadt grosszügiger sein?
Selbstverständlich überall (lacht) – alle haben Wünsche, die aus ihrer Sicht berechtigt sind. Man muss sich einfach bewusst sein, das Geld gehört den Steuerzahlenden. Somit steht klar der Staat in einer Rechtfertigungspflicht. Er muss den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern stets aufs Neue begründen, wenn es (höhere) Steuern braucht, nicht umgekehrt. Allerdings verschieben sich die Ansprüche zusehends: Das Volk soll erklären, warum es nicht so viel Steuern zahlen will – das ist eine völlig falsche Logik. Sehen Sie, da drückt halt schon das freisinnige Gedankengut durch, ob ich will oder nicht.
Sie sind schon seit fast zwanzig Jahren in der Politik, sind Parteipräsident, waren schon Bezirksparteipräsident. Warum lohnt sich ein solcher Aufwand für Sie?
Aufwand? Es geht um Freude! Politik ist meine Leidenschaft. Wenn das nicht mehr so wäre, müsste ich sofort aufhören damit, denn Zeit braucht es, das ist klar. Grundsätzlich bin ich jeder Person dankbar – egal in welcher Partei sie auch ist –, die sich irgendwie politisch engagiert. Die direkte Demokratie ist das wohl höchste Gut, das unser Land hat. Dazu muss man Sorge tragen. Die Anspruchsmentalität, die zunehmend um sich greift, wäre in der Politik fatal. Man darf hier nicht nur konsumieren, sondern muss auch Leistung produzieren. Wenn uns die Leute, die in der Politik aktiv sind, ausgehen, dann ist die direkte Demokratie nicht mehr funktionsfähig. Darum ist es mir extrem wichtig, dass ich, solange ich Lust und Zeit habe, irgendetwas zu dieser Politik beitrage. Ich habe Freude daran, dass ich hier mittragen und mitgestalten kann.
Und trotz dem grossen Aufwand hat es noch nicht zu einem Grossratsmandat gereicht? Ist das weiterhin ein Ziel von Ihnen?
Ich gebe zu, dass ich gerne in den Grossen Rat des Kantons Aargau gewählt worden wäre. Aber es hat nicht sollen sein. Das hat mich anfänglich gewurmt. Derzeit lasse ich offen, ob ich das nächste Mal nochmals antrete oder nicht. Ich muss meine Arbeit, die ich sehr gerne mache, und die Politik unter einen Hut bringen. Nicht jedes politische Amt ist mit meinem Beruf kompatibel.
Sie sind Historiker, haben eine Doktorarbeit zum Thema Service public geschrieben, nun arbeiten Sie als Vizedirektor beim Schweizerischen Nutzfahrzeugverband ASTAG. Wie verbinden Sie die beiden Sparten?
Man muss sie nicht verbinden, es ist immer ein Miteinander. Das Gegeneinander, das in früheren Jahrzehnten vorgeherrscht hat, das gibt es nicht mehr. Die Transportbranche hat längst begriffen, dass es die Zusammenarbeit aller Verkehrsträger – Schiene, Wasser, Strasse, Luft – braucht, damit das Gesamtsystem funktioniert.
Welche Beziehung haben Sie zu Lastwagen und dem Transportwesen?
Das Transportgewerbe fasziniert mich fast noch mehr als die Politik. Einerseits das Gefährt an sich, sei es ein LKW oder die Eisenbahn, ein Flugzeug oder ein Velo. Die Mobilität ist faszinierend! Dass wir überhaupt so vernetzt und grossräumig tätig sein können, ist nur dank dem Verkehr möglich. Für einen Verband zu arbeiten ist für mich ein unheimliches Privileg: Man ist im Schnittpunkt zwischen Politik, Wirtschaft und Medien, das macht das Ganze sehr vielfältig.
Wo Trucker sind, läuft auch Countrymusik, fasziniert Sie dieser Musikstil?
Nein, das nicht, aber am Trucker-Festival in Interlaken bin ich jedes Jahr gerne zu Gast. Es ist eines der Highlights unserer Branche, die Stimmung ist sehr gut, und man trifft sehr viele Leute, für die man das ganze Jahr hindurch arbeitet.
Wo liegen aus Ihrer Sicht die grossen Herausforderungen des Transportgewerbes in den kommenden Jahren?
Das Bedürfnis von Wirtschaft, Gewerbe und Bevölkerung nach Transportdienstleistungen und Mobilität wird in den kommenden Jahren massiv zunehmen, und zwar im Güter- wie auch im Personenverkehr. Wir haben pro Jahr bereits über 24 000 Staustunden oder umgerechnet fast drei Jahre Stau pro Jahr in unserem Land. Das zeigt, dass die Infrastruktur nicht mehr genügt und ein Ausbau dringend nötig ist. Aber man muss auch passende Mobilitätslösungen finden, da sehe ich ein gewisses Potenzial in der Digitalisierung.
Wie oft stehen Sie selber im Stau?
Leider immer öfter, obwohl ich auch sagen kann, dass ich viel mit dem Zug unterwegs bin.
Quelle: Zofinger Tagblatt